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„Der Markt ist reifer geworden“

Am 3. September 2024 traf sich eine spürbar gereifte Branche für alternative Proteine in Berlin, um Erkenntnisse auszutauschen und sich international noch stärker zu vernetzen. Die New Food Conference brachte Branchenvertreter aus ganz Europa, von Dänemark bis Italien, und sogar aus Brasilien, Chile und Mexiko zusammen. Unter den Teilnehmern war auch Renate Künast, Mitglied des Deutschen Bundestags und von 2001 bis 2005 Bundesernährungsministerin. Im Mittelpunkt der Diskussionen standen überzeugende Narrative.

Stabile Märkte in DACH

Edwin Bark, Senior Vice President bei Redefine Meat, beschrieb die Entwicklung des europäischen Marktes für pflanzenbasiertes Fleisch in den letzten Jahren als S-Kurve: Auf enormes Wachstum während der Covid-Pandemie folgte eine Stagnation mit Rückgängen in mehreren Ländern. Anders hierzulande: „Die DACH-Märkte haben sich überraschend positiv entwickelt und ihr Wachstum auf den meisten Märkten fortgesetzt“, so Bark.

Wachstum durch Volumen – und Discounter

ProVeg-Marktexpertin Elsa Guadarrama erklärte, dass die Verbraucher in Deutschland, Italien und Frankreich ihren tierischen Konsum europaweit am stärksten reduzieren. Der deutsche Markt für pflanzenbasierte Produkte gilt als der größte in Europa.1 Aus Einzelhandelsdaten von GfK2 lernten die Konferenzteilnehmer, dass der Wert pflanzenbasierter Kategorien hierzulande aufgrund höherer Verkaufsmengen zugenommen hat, der Wert tierischer Produkte dagegen aufgrund höherer Preise. „Pflanzenbasierte Produkte haben ihre Präsenz in Deutschland vor allem über Discounter ausgebaut“, berichtete Guadarrama.

Innovationen: zielgerichtet und realistisch

Für aufstrebende Technologien bedeutete die Marktentwicklung auch einen Rückgang der Investitionen. Christian Pichler, Geschäftsführer und Gründer von Gerber-Rauth, erläuterte, die Branche habe daraus gelernt, „sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und Ressourcen zu nutzen“. Auch Fabio Ziemssen, Partner bei Zintinus, befand: „Der Markt ist reifer und das Umfeld im Sektor gesünder geworden.“ Dana Wilson, Senior Analyst at FAIRR Initiative, beobachtete eine Segmentierung: „Von den 20 Unternehmen, die wir beobachten, investieren 95 Prozent weiterhin und erweitern ihr Portfolio an alternativen Proteinquellen.“ Mehr noch: „Während private Investitionen in den letzten Jahren zurückgegangen sind, wurden zwei Drittel der staatlichen Finanzierungszusagen ab 2022 gemacht.“ Beim Demo Day vom ProVeg Incubator überzeugten die Start-ups Optimized Foods mit Fettverkapselung auf Myzel-Basis und AIprotein mit Proteinzutaten aus Mikroalgen und Wasserlinsen Fachjury und Publikum.

Keine Alternativen – eine neue Kategorie

Investoren versuchen, für ihre Portfoliounternehmen frühere Wege zur Marktreife zu finden, so Nicolaus Norden, Venture Capitalist bei FoodLabs. Große Erwartungen richten sie an die Präzisionsfermentation – als Schlüsseltechnologie für das Käsesegment oder auch zur Stabilisierung der Lieferketten, etwa bei Eiern. Auch auf die molekulare Landwirtschaft setzen die Investoren ihre Hoffnungen. „Wir haben heute wunderbare Produkte probiert“, schloss Fabio Ziemssen von Zintinus, nun komme es auf das richtige Narrativ an: „Die Erzählung muss mit einem Lifestyle-Ansatz einhergehen: Dies ist keine Alternative, sondern eine völlig neue Kategorie, die sich durchsetzen wird.“

Tech-Talk: Das Publikum gibt den Ton an

Junge Verbraucher sprechen selbstbewusst über Technologien, berichtete Eva Sommer, CEO und Gründerin von Fermify. Auch viele Köche sind offen für Tech-Gespräche, so Randi Wahlsten, CEO und Mitgründerin von MATR Foods: „Wenn wir mit Köchen über Fermentation sprechen, sind sie hellauf begeistert und sehen alle Vorteile.“ Nicht so die meisten Verbraucher, gab sie zu bedenken. Edwin Bark betonte mit Blick auf Food Service und Einzelhandel und Verbraucher: „Wir verkaufen keine Technologie. Wir verkaufen das köstlichste Fleisch auf Pflanzenbasis.“

Food Service first

Randi Wahlsten von MATR Foods erklärte die zentrale Bedeutung des Food-Service-Sektors für die Etablierung von Produkten: „Wenn wir von Chefköchen oder gehobenen Restaurantketten, denen die Leute gute Qualität zutrauen, unterstützt werden, hilft das auch mit den Einzelhändlern.“ Außerdem ist die professionelle Zubereitung im Außer-Haus-Markt für Verbraucher ein Beweis für die Qualität, die Vielseitigkeit und den guten Geschmack der Produkte, erläuterten die Hersteller. Hier lassen sich tierische Zutaten leicht durch pflanzenbasierte ersetzen. Das ist für internationale Caterer und ihre Kunden, die allesamt Nachhaltigkeitsziele haben, interessant.

Wo Nachhaltigkeit zählt

Nachhaltigkeit war auch das Thema der Beteiligungsrunde für Lebensmittelhändler zur kommenden Analyse „Superlist Environment Germany“. „Die Einzelhändler verstehen den Nutzen von Benchmarks für ihre Nachhaltigkeitsbemühungen. Die Händler mit den effektivsten Strategien und Maßnahmen können sich als Vorreiter von der Konkurrenz abheben. Eine wichtige Benchmark ist die Messung des Proteinverhältnisses“, so ProVeg-Marktexperte Dirk Liebenberg. Lidl in Deutschland misst seit letztem Jahr sein Proteinverhältnis im Verkaufsvolumen und hat sich Ziele gesetzt.3 Gestern hat Aldi Süd angekündigt, künftig ebenfalls das Verhältnis tierischer und pflanzenbasierter Produkte zu messen.4 Auch Molkereien wollen nicht nur ihren CO2-Ausstoß verringern, berichtete Eva Sommer von Fermify: „In Ländern wie den Niederlanden, Dänemark oder Irland wurde die Zahl der Kühe begrenzt, vor allem wegen hoher Nitratwerte. Wir helfen den Molkereien also, ihr Wachstum auf die Präzisionsfermentation zu verlagern.“

Der Weg zu Geschwindigkeit und Volumen

Um Zeit zu sparen, stützt sich Planted für Forschung und Entwicklung, Prototyping und Tests auf eigene Kapazitäten. Nosh.bio hat bewusst den B2B-Vertrieb gewählt: „Jeden Euro, den wir für den Aufbau einer Verbrauchermarke, die Skalierung der Vertriebskanäle und den Aufbau eines guten Rufs ausgeben müssten, könnten wir nicht in die Weiterentwicklung der Technologie investieren“, so CEO und Mitgründer Tim Fronzek. Wie Tönnies setzt Nosh.bio auf bestehende Maschinen und Anlagen, etwa auf ehemalige Brauereien. Begrenzt haltbare Produkte und witterungsbedingte Nachfrageschwankungen verlangen derweil mehr als ein gutes Hygienekonzept, gab Dr. Gereon Schulze Althoff, Chief Sustainability Officer bei Tönnies, zu bedenken: „Wir müssen sehr flexibel sein, um die Produktion von Tag zu Tag hoch- und runterzufahren.“ Lidl in Deutschland hat das Absatzvolumen mit Preisangleichungen, der Platzierung neben tierischen Produkten und Kampagnen erhöht und dient nach innen und außen als Showcase, erläuterte Alexander Liedke, Director CSR Sourcing: „Mit diesem Maßnahmenmix konnten wir in sechs Monaten eine beeindruckende Steigerung von 30 Prozent erreichen.“

Offene Arme für die Landwirtschaft

Der Wunsch nach engem und vertrauensvollem Dialog mit dem Agrarsektor überspannte die Konferenz. Rune-Christoffer Dragsdahl, Generalsekretär der Vegetarian Society of Denmark, berichtete, dass er gern mit der Botschaft beginnt: „Ich komme in Frieden.“ Lea Fließ, Geschäftsführerin des Forums Moderne Landwirtschaft, wusste, dass der Präsident des Deutschen Bauernverbands selbst Kichererbsen anbaut, betonte aber: „Wir brauchen Anbauverträge.” Hülsenfrüchte bieten eine Antwort auf Dürre und Hitze, etwa in Brandenburg, doch das finanzielle Risiko für die Landwirte ist hoch. Jack Vera von der niederländischen Botschaft in Deutschland sprach sich mit Blick auf den Green Deal seines Landes für Ansätze aus, die die gesamte Wertschöpfungskette umfassen: „Wertschöpfungsketten sind oft international, zumindest wenn man die Produktion ausweiten will.“ Finanzierung lässt sich nur wissenschaftsbasiert sichern, betonte Fließ. Später bedankte sie sich „für das aufrichtige Interesse an der Perspektive der Landwirte!“5

Ernährungsumstellung ohne Reibung

Mehrere Referenten gaben zu bedenken, dass die Verbraucher ihr Leben bereits als komplex genug wahrnehmen: „Wir wissen aus Untersuchungen, dass die Menschen bereit sind, auf ein nachhaltigeres Ernährungssystem umzusteigen, aber sie wollen nicht darüber nachdenken, wenn sie einkaufen oder kochen“, erklärte Martine van Haperen, Ernährungsexpertin bei ProVeg Niederlande. Für Stephan van Sint Fiet, CEO von Vivici, bedeutete das für die Verbraucherkommunikation: „Nachhaltigkeit lässt sich am besten verkaufen, indem man nicht über Nachhaltigkeit spricht.“ Diego Pacheco, Sales Director Europe bei Novameat, erklärte, worauf es stattdessen ankommt: „Wenn wir ein Produkt anbieten können, das die Menschen wie einst Tierfleisch zubereiten können, ohne Reibung, dann werten wir die Kategorie auf.“

Verarbeitet und gesund

Niklas Oppenrieder, Gründer des Gesundheitsverbands PAN International, zufolge bröckelt die Gleichsetzung von ultra-verarbeiteten Lebensmitteln mit schlechter Gesundheit in den Ernährungswissenschaften seit Jahren: „Wir beobachten, dass immer mehr Forschungsarbeiten und Arbeitsgruppen in wichtigen Ernährungs- und Medizinverbänden diese Sichtweise infrage stellen und mehr Nuancierung fordern.“ Stattdessen sollten sich Verbraucher auf direkt verfügbare Information stützen, so Chris Bryant, Direktor von Bryant Research: „Auf allen Lebensmitteln steht der Gehalt an Kalorien, an gesättigten Fettsäuren, an Salz und an Ballaststoffen. Das sind die vier Punkte, bei denen pflanzenbasiertes Fleisch in der Regel besser abschneidet als tierisches.“

Geschmack ist Trumpf

Denn: „Menschen essen Nahrungsmittel“, so die einfache Formel von Armando Perez-Cueto, Professor für Ernährung an der Universität Umeå. Sein Appell für die Verbraucherkommunikation: Weg von abstrakter Kommunikation, ob über Nachhaltigkeit, Tierschutz oder Nährwerte, hin zum konkret Erlebbaren – zu „Geschmack und Textur und den guten Gefühlen danach.“

Bild:Edwin Bark von Redefine Meat, Diego Pacheco von Novameat und Randi Wahlsten von MATR Foods sprachen mit Fabio Ziemssen von Zintinus über New Meat in Europa und kulinarische Landschaften (v. l. n. r.). (Bild: ProVeg/Miyeon Choi)

Quelle:ProVeg

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